Standpunkt: Umverteilen zulasten der bäuerlichen Landwirtschaft
Es geht um Geld, viel Geld in der Europäischen Agrarpolitik. Das weckt Begehrlichkeiten. Insbesondere die Umwelt- und Naturschutzverbände haben deshalb immer schon auf den Agrarhaushalt geschielt und eine Umverteilung zugunsten des Umwelt- und Naturschutzes gefordert. Ihnen assistieren nun die Agrarminister der rot-grün regierten Bundesländer. Nicht verwunderlich. Ist die Ökologisierung aller Lebensbereiche doch ein Hauptanliegen von Bündnis 90/Die Grünen.
Wenn es um viel öffentliches Geld geht, ist es gut und richtig, dass es dazu eine gesellschaftliche und politische Debatte gibt. Man würde sich dabei jedoch manchmal mehr Qualität und Verständnis für agrarpolitische Zusammenhänge wünschen.
"Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" wiederholen die Befürworter der Umwidmumg der Agrarmittel für Natur-, Umwelt- und Tierschutz gebetsmühlenartig. Überzeugend ist das nicht, sondern zunächst ein Schlagwort, und eine Binsenweisheit dazu. Natürlich müssen öffentliche Gelder im öffentlichen Interesse eingesetzt werden. Was denn sonst? Die Umverteilungsbefürworter übersehen aber, dass die Mittel schon lange für öffentliche Leistungen und im öffentlichen Interesse eingesetzt werden.
Die Ernährungssicherstellung mit ihrer überragenden und inzwischen über Deutschland und die EU hinausreichenden Bedeutung ist immer schon ein zentraler und trifftiger Grund für Europäische Agrarpolitik. Minister Habeck hat in seinem Interview mit dem Biolandverband auf die Begründung der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln hingewiesen und hinzugefügt: "Das ist heute überholt." Eine interessante Sichtweise.
Dabei gerät vor allem aus dem Blick, dass die Europäische Agrarpolitik immer schon und erst recht seit der Entkopplung auch das Ziel hatte, das Einkommen und die Existenz der bäuerlichen Familien zu stärken. Über eines besteht nämlich auch heute noch Grundkonsens unter allem politischen Parteien: Die Lebensmittelerzeugung soll durch eine bäuerliche Landwirtschaft erfolgen und nicht durch eine industrielle (was immer das ist), auf jeden Fall nicht durch große Kapitalgesellschaften.
Andererseits weiß der Kieler Minister um die hohe Einkommensbedeutung der Direktzahlungen. Sie machen zwischen 30 und 50 % des Einkommens der Landwirtsfamilien aus. In schlechten Jahren auch schon mal 70 %. Gerade in der Krise bei der Milch und beim Schweinefleisch hat sich gezeigt, welchen Beitrag zur Risikoabsicherung die Direktzahlungen leisten, die unabhängig vom Marktgeschehen fließen und somit sicher sind.
Auch Robert Habeck bekennt sich zur bäuerlichen Landwirtschaft und beklagt den fortschreitenden Strukturwandel, den er gerne ganz aufhalten möchte. Hat er seine Vorschläge zur Umverteilung der Direktzahlungen von der Ersten in die Zweite Säule einmal auf den Prüfstand "Strukturwandel" gestellt? Anscheinend nicht.
Mittel in der Zweiten Säule dürfen nur für tatsächlichen finanziellen Mehraufwand des Landwirts zum Beispiel für eine Agrarumweltmaßnahme gezahlt werden. Selbst eine kleine Überkompensation als Anreizkomponente ist nicht zulässig. Den Zahlungen aus der Zweiten Säule kann eine Einkommenswirkung damit nicht zukommen. Die Umverteilung in die Zweite Säule würde zu massiven Einkommenseinbußen bei den Landwirtsfamilien führen. Viele wären zur Aufgabe des Betriebes gezwungen. Der Strukturwandel würde mächtig angeheizt bis hin zum Strukturbruch.
Diese Zusammenhänge kennen die Befürworter der Umverteilung inzwischen. Sie wurden ihnen immer wieder vorgetragen. Welchen Schluss muss man daraus ziehen? Offenbar nimmt man die Folgen billigend in Kauf, solange es mehr Geld für Umwelt- und Naturschutz gibt. Gleichzeitig befürwortet man eine Ausdehnung der ordnungsrechtlichen Auflagen für Umwelt-, Natur-, Klima- und Tierschutz.
Übereilt betriebene Verschärfungen sind der zweite große Treiber des Strukturwandels. Bäuerliche Landwirtschaft wird somit zum Lippenbekenntnis. Wie man so Arbeitsplätze und Strukturen im ländlichen Raum erhalten will, bleibt ein Rätsel.
Nun stehen auch die Agrarwissenschaftler in Deutschland den Direktzahlungen der Ersten Säule kritisch gegenüber und fordern ihren Abbau. Zu den schärfsten Kritikern gehört der Berliner Agrarökonom Prof. Dr. Harald Grethe. Er hat die Agrarzahlungen auf einer Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen zum Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMEL über die Zukunft der Nutztierhaltung als "Schwachsinn aus der Gießkanne" bezeichnet.
Grethe möchte die Zahlungen auch für den zukunftsorientierten, aber äußerst kostenträchtigen Umbau der Tierhaltung, insbesondere für mehr Tierwohl, einsetzen. Dem Gutachten nach belaufen sich die Kosten für diesen Umbau auf etwa 5 Mrd. €. Nicht einmalig, jährlich! Das entspricht dem Betrag, den die Direktzahlungen in Deutschland ausmachen.
Dass diese Zahlungen zur Einkommensstützung nötig sind, bleibt außer Betracht. Wie in der Politik üblich, sollen die Mittel, die die Bauern heute schon bekommen, ein zweites Mal verwendet werden für einen anderen Zweck. Gezahlt wird aber nur einmal.
Grethe kritisiert, dass die Zahlungen bislang ohne Gegenleistungen gewährt werden. Tatsächlich werden die Zahlungen aber keineswegs voraussetzungslos gewährt, sondern sind über das Greening und die Cross-Compliance-Bestimmungen, die nicht unerheblich über das Fachrecht hinausgehen, an Aufwand und Leistungen gebunden. Hinzu kommen die hohen bürokratischen Standards in Deutschland und der EU. Die Folgen für die Agrarstruktur mögen der Agrarwissenschaft gleichgültig sein, oder sie sind sogar erwünscht, weil man den Strukturwandel nur als fortwährenden Optimierungsprozess für mehr Effizienz ansieht.
Deutschland ist bei der Agrarreform 2005 am weitesten von allen Mitgliedstaaten gegangen und hat alle Zahlungen von der Produktion entkoppelt und inzwischen in den Regionen eine gleich hohe Hektarzahlung eingeführt. Bis zum Jahr 2019 wird sie sogar bundeseinheitlich sein. Andere Mitgliedstaaten sind noch lange nicht so weit. Viele zahlen gekoppelte Zahlungen im erheblichen Umfang. Und die Hektarprämien unterscheiden sich nicht nur zwischen Regionen, sondern immer noch zwischen den einzelnen Betrieben massiv.
Das stellt unter Wettbewerbsgesichtspunkten durchaus ein Problem dar, erweist sich im Hinblick auf die deutsche Umverteilungsdiskussion aber als Glücksfall, nämlich als Schutz vor übereilten Änderungen mit dramatischen Folgen für die bäuerlichen Betriebe.